Die E-Commerce Branche kann die Krise im kommenden Jahr bewältigen, wird jedoch nicht die Rekordwachstumsraten der vergangenen Jahre erreichen. Dennoch dürfte 2023 für E-Commerce-Händler:innen voraussichtlich nicht langweilig sein.
Obwohl es nicht angemessen ist zu sagen, dass die Feier im E-Commerce vorbei ist, gibt es derzeit in gewisser Hinsicht eine gedämpfte Stimmung. Das IFH Köln hat zwar erstmals seit langer Zeit einen Rückgang des Wachstums im B2C-E-Commerce verzeichnet. Dennoch bleiben die Umsätze hoch. Faktoren wie Inflation, Probleme in den Lieferketten und die Zurückhaltung der Konsumenten haben dazu geführt, dass viele Einzelhändler momentan vorsichtig agieren müssen. Demnach können die Rekordzahlen der vergangenen Jahre nicht wiederholt werden.
Aber wie beeinflusst das den E-Commerce, der voraussichtlich auch im kommenden Jahr die Umsatzschwelle von 100 Milliarden erreichen wird? Wir haben die Branche konsultiert und die entscheidenden Trends zusammengestellt.
Wie viel Umsatz der Onlinehandel in den kommenden Monaten machen wird, hängt direkt davon ab, wie gut es den Händler:innen gelingt, die Lieferfähigkeit sicherzustellen“, sagt Hansjürgen Heinick, Onlinemarktexperte des IFH Köln. „Wenn sich die allgemeine wirtschaftliche Situation positiver entwickelt, wird sich dies auch auf das Umsatzwachstum im Onlinehandel auswirken. In unseren verschiedenen Szenariovarianten rechnen wir bis 2026 mit positiven Wachstumsraten“, fügt Hansjürgen Heinick, Onlinemarktexperte des IFH Köln, hinzu.
Aber mehr als je zuvor wird es 2023 von entscheidender Bedeutung sein, dass Händler und Markenartikler ihre Lieferketten optimieren. ‚Um eine schnellere Einbindung von Handelspartnern zu ermöglichen und Prozesse transparenter zu gestalten, ist die Automatisierung aller Abläufe erforderlich. Dies kann in der Komplexität, die der moderne E-Commerce erfordert, nur durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz erreicht werden‘, erklärt Mark Sturzenegger, Senior Director Central Europe bei Boomi.
Auch mittelständische Handelsunternehmen werden daher das durchlaufen müssen, was große Konzerne bereits in ihrer IT-Strategie umgesetzt haben. Die Einführung agilerer Prozesse und die Migration möglichst vieler Abläufe in die Cloud, um maximale Flexibilität sicherzustellen. Insbesondere im Bereich der Lieferketten muss die Kommunikation mit den Kunden Schritt halten. Denn während in der Vergangenheit die Frage nach dem niedrigsten Preis oft ausschlaggebend für einen Kauf war, rückt nun immer häufiger die Frage nach der Verfügbarkeit der Produkte in den Vordergrund.
„Buy now pay later“ stärkt den Umsatz
Im Laufe dieses Jahres war im Bereich des Zahlungsverkehrs eigentlich nur ein Thema präsent, das scheinbar alle Zahlungsdienstleister und Payment Service Provider verfolgt haben: „Kaufen Sie jetzt, zahlen Sie später.“ Angesichts der Krise und der angespannten wirtschaftlichen Situation entscheiden sich Verbraucher*innen immer häufiger für diese Zahlungsmethode. Für Händler und Kunden stellt dies eine willkommene Lösung dar.
Einerseits trägt „Buy now, pay later“ zur kurzfristigen Liquidität bei. Dies zeigt sich dadurch dass Kunden auf diese Weise auch Dinge kaufen, die sie entweder schwer oder erst auf Langzeit bezahlen könnten. Allerdings birgt dies andererseits auch Risiken, wie Ken Serdons, Chief Commercial Officer bei Mollie, erläutert: „Banken und Finanzdienstleister machen sich Sorgen über die Verschuldung der Verbraucher, und ihre Bemühungen im Verbraucherschutz werden intensiviert.“ Der CCO befürchtet zudem, dass das Preismodell vieler Dienstleister möglicherweise dem Druck einer Rezession nicht standhalten kann. Dies könnte zu Kostensteigerungen führen, die an die Händler weitergegeben werden.
Cyberkriminalität manifestiert sich verstärkt im E-Commerce-Bereich
„Die Finanzströme verfolgen“ ist ein bekanntes Sprichwort, wenn es um die Risiken von Cyberkriminalität geht. Diese Bedrohungen von immer besser organisierten Verbrechersyndikaten betreffen vermehrt Onlinehändler und deren Dienstleister. Dabei sind sie sowohl mit klassischen Erpresser-Trojanern (Ransomware) konfrontiert, die den Geschäftsbetrieb stören oder lahmlegen. Aber auch mit herkömmlichen Betrugsfällen, bei denen Zugangsdaten von Käufern erschlichen werden, um Waren unter deren Nutzerkonten zu bestellen.
Eine Studie von Yeswehack ergab, dass die Händler zunehmend besser gegen diese Risiken gewappnet sind. Dennoch besteht bei kleineren Händlern noch Nachholbedarf. Sieben von z zehn befragten Unternehmen setzen IT-Architektur- und IT-Sicherheitslösungen ein, sowohl in Hardware als auch in Software. Etwa die Hälfte (52 Prozent) setzt auf regelmäßige Sicherheitsschulungen für neue und bestehende Mitarbeiter. Phil Leatham, Deutschland-Geschäftsführer bei Yeswehack, glaubt jedoch, dass insbesondere Bug-Bounty-Programme zur Identifizierung von Schwachstellen im nächsten Jahr einen verbesserten Schutz für Unternehmen bieten könnten.
Der Bochumer Cyberdefense-Anbieter G-Data ist ebenfalls überzeugt, dass immer ausgeklügeltere und effizientere Bedrohungsszenarien auf Händler zukommen werden. Andreas Lüning, Mitgründer und Vorstand von G-Data, betont, dass ein zentrales Problem für die IT-Sicherheit in Deutschland darin besteht, dass Unternehmen Warnungen bezüglich Schwachstellen oder Sicherheitsrisiken oft nicht ernst nehmen. Sie unterschätzen das reale Risiko von Cyberangriffen und setzen auf das Prinzip der Hoffnung. Lüning warnt auch vor Gefahren für private Smartphones, insbesondere iPhones, da deren Benutzer als kaufkräftig gelten und ihre iPhones vermehrt für Zahlungen, Schlüsselverwaltung und Bankgeschäfte nutzen. „Social Engineering-Angriffe können jeden treffen und haben zum Ziel, persönliche Daten oder Informationen von Opfern abzufangen.“
Secondhand funktioniert – wenn die Qualität stimmt
Die Knappheit bestimmter Produkte haben im vergangenen Jahr dazu geführt, dass Gebrauchtwaren immer beliebter werden. Dies ist grundsätzlich ein positiver Trend, auch wenn dies dazu führt, dass beispielsweise im Bereich von Smartphones und Notebooks weniger Bedarf an brandneuen Geräten ansteht.
Laut einer aktuellen Umfrage des Handelsverbands HDE hat bereits jede dritte Person im Alter zwischen 24 und 44 Jahren ein gebrauchtes Gerät verschenkt. Dazu kommt, dass die Zahl derer, die für den Eigenbedarf auf wiederaufbereitete Produkte setzen, weit höher sei. Es ist jedoch entscheidend, dass Händler wie Refurbed, Rebuy, Swappie oder Backmarket nicht nur zuverlässig überholte Ware liefern, sondern auch den Service und die Abwicklung von Reklamationen verbessern.
Im neuen Jahr könnte nicht nur der Anteil an gehandelten Gebrauchtwaren, sondern es könnten auch neue Produktkategorien erschlossen werden. Eine weitere Variante sind quasi neue Waren, die nicht mehr als neu verkauft werden können, beispielsweise Überproduktionen oder Saisonware. Dies bietet Chancen für findige Händler und Plattformen wie Momox Fashion oder Zalando Lounge.
Auch Oliver Klinck, Geschäftsführer von Ebay Deutschland, ist der Meinung, dass das Einkaufsverhalten derzeit unerwartete Veränderungen aufweist. Viele davon gehen aber in Richtung Gebrauchtwaren und Nachhaltigkeit. „Nie zuvor in meiner Karriere konnte ich so drastische Veränderungen im Einkaufsverhalten beobachten wie in diesem Jahr. Im Moment greift bereits jede zehnte Person häufiger zur preisgünstigeren gebrauchten oder generalüberholten Alternative.“ Der niedrigere Preis (63,7 Prozent) und Nachhaltigkeit (65,7 Prozent) sind für Verbraucherinnen und Verbraucher die wichtigsten Gründe, vermehrt gebrauchte Produkte zu kaufen. „Das Angebot an gebrauchten, generalüberholten und aufbereiteten Artikeln hat sich in diesem Jahr versechsfacht“, betont Klinck.
Einkaufserlebnisse: Unterhaltung und Gamification gehören dazu
Ein weiterer Trend im Handel berücksichtigt die Tatsache, dass es zunehmend herausfordernd ist, sich als Onlinehändler:in von der Wettbewerbskonkurrenz abzuheben. Es ist mittlerweile allgemein bekannt, dass sich dies hauptsächlich über den Preis zu versuchen keine erfolgversprechende Strategie ist. Ebenfalls die herkömmlichen gängigen Kriterien erreichen oft nicht ihr vermeintliches Potenzial.
Der gesamte Aspekt der Unterhaltung beim Einkaufen sollte keineswegs unterschätzt werden. Eine Studie von Epoq zeigt, dass unterhaltsame Elemente junge Kund*innen dazu motivieren, einen Kauf zu tätigen. Thorsten Mühling, Managing Director DACH bei Epoq, empfiehlt Einzelhändlern, die Unterhaltungselemente in ihren Shops integrieren möchten, darüber nachzudenken, welche Shop-Elemente sich für Unterhaltung eignen. „Sie können beispielsweise interaktive Produktsets auf den Produktdetailseiten einbinden und interaktive Such-Widgets auf der Startseite platzieren, über die Nutzer schnell ihre Lieblingsmarken finden können.“
Der Ansatz der Gamification führt im Allgemeinen zu einer längeren Verweildauer und beschäftigt die Besucher intensiver mit den Inhalten auf der Seite. Es ist selbstverständlich, dass diese Herangehensweise nicht auf den Webshop oder die Website der Marke beschränkt bleibt. Videoformate, Social-Media-Veranstaltungen und eine hohe Personalisierung können dazu beitragen, dass Kunden nicht nur einmal vorbeischauen, sondern auch wiederkommen.
Dies funktioniert zukünftig nicht nur in asiatischen oder südamerikanischen Märkten, sondern zunehmend auch auf dem deutschen Markt. Dies gilt zwar nicht für alle Kunden und Branchen, aber es spricht eine wachsende Anzahl von jungen Kund*innen an.