In Zeiten zunehmender digitaler Polarisierung fordern Nutzer:innen weltweit mehr Regulierung in sozialen Netzwerken. Eine aktuelle Umfrage der Technischen Universität München (TUM) und der University of Oxford mit über 13.500 Teilnehmenden aus zehn Ländern offenbart: Die Mehrheit der Menschen wünscht sich Plattformen, die Hassrede und Falschinformationen aktiv eindämmen – und stellt damit die unternehmerische Kommunikationsstrategie vieler Plattformbetreiber infrage.
Wunsch nach Schutz statt uneingeschränkter Meinungsfreiheit
Obwohl Plattformen wie X (ehemals Twitter) und Meta jüngst die Moderation ihrer Inhalte zugunsten größerer Meinungsfreiheit gelockert haben, sehen dies viele Nutzer:innen kritisch. Weltweit befürworten 79 Prozent die Entfernung von Gewaltaufrufen. In Deutschland, Brasilien und der Slowakei liegt die Zustimmung mit 86 Prozent besonders hoch. Selbst in den USA, wo Meinungsfreiheit traditionell einen hohen Stellenwert hat, sprechen sich 63 Prozent für solche Maßnahmen aus.
Nur eine kleine Minderheit (14 Prozent) möchte problematische Inhalte online belassen, um Raum für Gegenrede zu schaffen. Die Ergebnisse verdeutlichen eine deutliche Präferenz für Sicherheit und Schutz vor digitaler Gewalt, selbst wenn dies Einschränkungen in der Redefreiheit bedeutet.
Keine global einheitliche Haltung zur Verantwortung
Eine der spannendsten Erkenntnisse der Studie ist die Frage nach der Zuständigkeit: Wer soll die Verantwortung für ein sicheres digitales Umfeld übernehmen?
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35 % sehen die Hauptverantwortung bei den Plattformen selbst.
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31 % erwarten mehr Engagement von Bürger:innen.
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30 % sehen die Regierungen in der Pflicht.
Besonders auffällig: Während in Deutschland 37 Prozent eine stärkere Rolle des Staates fordern, sind es in der Slowakei nur 14 Prozent. In Schweden hingegen sehen 39 Prozent vor allem die Nutzer:innen selbst in der Verantwortung, in Deutschland nur 17 Prozent.
Diese Unterschiede machen deutlich: Eine globale Regulierung wird durch kulturelle und politische Prägungen erschwert.
Resignation als gefährlicher Trend
Trotz des Wunsches nach moderierten Inhalten herrscht bei vielen Nutzer:innen eine gewisse Resignation: 59 Prozent halten Grobheit und Hass im Netz mittlerweile für unvermeidbar. Ganze 65 Prozent rechnen mit aggressiven Kommentaren, sobald sie sich online äußern. Besonders drastisch fällt dieser Wert in Südafrika (81 Prozent) und den USA (73 Prozent) aus.
Laut Studienleiter Prof. Yannis Theocharis untergräbt dieser „Gewöhnungseffekt“ langfristig gesellschaftliche Normen und fördert die Normalisierung digitaler Gewalt – ein klarer Handlungsauftrag an Plattformen und politische Akteure.
Relevanz für eCommerce-Unternehmen
Für Akteure im eCommerce bedeutet diese Entwicklung zweierlei:
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Vertrauen stärken: Unternehmen sollten sich aktiv für sichere Kommunikationsräume einsetzen – nicht nur auf ihren Plattformen, sondern auch in den sozialen Medien, in denen sie werben oder Kund:innen betreuen.
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Community-Management überdenken: In einem Umfeld, das von Hassrede geprägt ist, kann ein kluges Community-Management zum Wettbewerbsvorteil werden – durch klare Moderationsrichtlinien, sichtbare Positionierung und Transparenz.
Fazit: Plattformen müssen Verantwortung übernehmen
Die Mehrheit der Menschen – auch in freiheitsliebenden Demokratien – wünscht sich klare Regeln und Grenzen im Netz. Der Ruf nach Regulierung ist kein Widerspruch zur Meinungsfreiheit, sondern Ausdruck eines Bedarfs an Sicherheit und digitaler Fairness. Für Plattformbetreiber, Marketer und eCommerce-Unternehmen ist das eine Chance zur Neupositionierung: Als vertrauenswürdige, transparente und verantwortungsvolle Akteure im digitalen Raum.