Der Einsatz von Machine Learning im E-commerce kann ein zentraler Erfolgsfaktor und Wettbewerbsvorteil sein. Doch ist Zugang zu und Einsatz von Machine Learning weder trivial noch günstig. Wie die Zukunftstechnologie Machine Learning funktioniert, welche Einsatzgebiete bereits jetzt vorstellbar sind und wie Sie Machine Learning im E-commerce nutzen können, erkläre ich in diesem Beitrag.
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Machine Learning im E-Commerce – mehr als nur ein Buzzword
Im Gartner Hypecycle für 2017 stehen Deep Learning und Machine Learning auf dem Zenit des Hypes. Kein Wunder, denn gefühlt jeder zweite Tech-Blogpost, der um die Jahreswende 2017/18 veröffentlich wird, befasst sich mit den großen Fortschritten bei künstlicher Intelligenz, oder kurz KI, wahlweise auch AI für „Artificial Intelligence“. Bestseller wie „Homo Deus“ oder die Singularity University von Ray Kurzweil suggerieren, die Menschheit stünde kurz vor der freundlich-feindlichen Übernahme durch Roboter und intelligente Computer.
Unbestritten hat die KI-Technologie in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Diese kann jeder etwa bei der auf KI basierenden Lösung Google Translate oder bei den mit Hilfe einer KI generierten Untertiteln bei Youtube feststellen. Allerdings steht Maschinenlernen gerade erst am Anfang und bei vielen Unternehmen im E-commerce mangelt es an Konzepten, künstliche Intelligenz einzusetzen. Häufig fehlt es am grundlegenden Verständnis, wie KI funktioniert und welche Möglichkeiten Machine Learning im E-commerce bieten kann.
Kurz erklärt – die Grundlagen des Machine Learning
Die Theorie selbstlernender Maschinen geht bereits auf Alan Turing zurück, dessen Turing-Test legendär ist. Dabei versucht der Tester, in einem Blindtest herauszufinden, ob er es in einem Gespräch mit einem Menschen oder mit einer Maschine zu tun hat. Aber soweit, dass der Turing-Test bestanden wird, ist die Künstliche Intelligenz noch lange nicht. Dazu müsste sie sich selbst nahezu oder vollständig bewusst sein. Doch die Fortschritte sind groß, wie ein sehr informativer Vortrag von Allan Green von Google Canada zeigt.
Zunächst zeigt Green, wie KI, Machine und Deep Learning einzuordnen sind. Deep Learning ist eine Unterform des Machine Learning, das wiederum zur Künstlichen Intelligenz, dem allgemeinsten der technologischen Begriffe, zählt. Die Bezeichnung Deep Learning verdeutlicht, dass dabei mehrere Schichten künstlicher neuronaler Netze zusammenwirken. Aufgrund dieser neuronalen Netze kann beim Deep Learning aus einer großen Zahl an Informationen gelernt werden. Der Begriff „neuronale Netze“ zeigt an, dass Deep Learning in seiner Grundstruktur dem menschlichen Gehirn ähnelt. Im Mittelpunkt stehen in beiden Fällen Neuronen, die Informationen aufnehmen und weitergeben. Beim softwarebasierten neuronalen Netz wird die Funktion der Neuronen durch Algorithmen abgebildet.
Kern der Funktionsweise der Neuronen ist die Aufnahme und Weitergabe von Informationen oder Signalen. Bei programmierten, also angelernten Neuronen müssen zur Weitergabe bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Das Lernen bedeutet nun, dass für die Weitergabe der Informationen gewichtete Bedingungen festgelegt werden.
Computer und Katzen
Soll ein neuronales Netz auf einem Bild eine Katze erkennen, muss es also zuerst lernen, wie eine Katze aussieht. Ein künstliches neuronales Netz wird dazu die vielen Bildpunkte untersuchen und bei jedem Bildpunkt entscheiden müssen, ob er ins Katzenbild passt. Je mehr Neuronen an der Erkennung beteiligt sind, umso schneller erfolgt diese. Noch schneller erfolgt die Erkennung, wenn die neuronalen Netze als Schichten zusammengeschaltet sind. Ziel muss es ja sein, nicht nur ein individuelles Katzenbild zu erkennen sondern möglichst viele unterschiedliche Katzenbilder. Das Lernen erfolgt mit sogenannten Trainingsdaten, bei denen die Deep Learning-KI langfristig lernt, wie Katzen im Allgemeinen aussehen. Lernen und Trainieren erfordert sehr viel Computerleistung, dauert lange und ist erst seit wenigen Jahren aufgrund deutlich verbesserter Rechnerleistungen möglich geworden.
Machine Learning im E-commerce – die Anwendungen
Eine einmal trainierte KI hat große Vorteile bei der Verarbeitung großer Mengen digitaler Daten. Daten entstehen im E-commerce minütlich und bei großen Shops in einem solchen Umfang, dass der Einsatz von KI einer der nächsten naheliegenden technologischen Fortschritte im E-commerce sein dürfte. Der Einsatz kann überall dort erfolgen, wo die systematische Auswertung von Daten die Entscheidungen in einem System verbessert. Die möglichen Einsatzgebiete von KI sind bereits jetzt schon wichtige Erfolgsfaktoren in einem Onlineshop:
- Suchen und Filtern
- Die Qualität der Shopsuche und Filter wird durch lernende Suchanwendungen und Filter, die die Nutzerintention immer besser verstehen, optimiert.
- Recommandation, Cross- und Upselling
- Nutzerintention, Nutzerverhalten und andere verfügbare Informationen können herangezogen werden, um zukünftige Bedürfnisse zu antizipieren. Ein interessanter UseCase aus der Otto-Group zeigt, wie Kundenbewertungen ausgewertet werden können, um maßgeschneiderte Vorschläge zu machen.
- Personalization, Segmentation, Targeting
- Nutzerverhalten auf Landingpages, gegenüber Produktangeboten und Werbemitteln kann ausgewertet werden, um zielgenauere Information und Kommunikation anzubieten. Irrelevante Werbung sollte in absehbarer Zeit selbst irrelevant werden.
- Bilderkennung
- Von Nutzern hochgeladene Fotos können maschinell interpretiert werden, um etwa Produktwünsche zu identifizieren.
- Online Marketing – Programmatic – Bidding
- Auf vielen Werbeplattformen wird bereits automatisiertes Bieten ermöglicht, bei dem Ergebnisdaten verwendet werden, um die Effektivität von Gebotsstrategien zu steigern.
- Pricing
- Auch im Dynamic Pricing kann die Qualität der Preissetzung durch Maschinenlernen gesteigert werden.
- Fraud Protection
- Eine KI kann durch langfristiges Lernen betrügerisches Verhalten sowohl bei Anbietern auf Marktplätzen als auch bei Kunden identifizieren.
- Predictive Analytics – Demand and Supply
- Maschinenlernen kann helfen, sowohl Wettbewerb als auch Nachfrageveränderungen besser einschätzen zu können.
- Logistik Optimization – Shipping time prediction
- Zentral für die E-commerce Logistik ist die Liefergeschwindigkeit und -qualität. Die relevanten Faktoren unterliegen einer erheblichen Komplexität, so dass maschinelles Lernen die Vorhersage der Lieferzeit und damit die Zufriedenheit der Kunden deutlich steigern kann.
- Customer Support
- Bereits jetzt gibt es Lösungen, bei denen sogenannte ChatBots Routineanfragen von Kunden im Onlineshop beantworten helfen. Die Bearbeitungsgeschwindigkeit im Customer Support nimmt deutlich zu, so dass die Kundenzufriedenheit steigt.
Sicher lässt sich diese Liste der möglichen Einsatzgebiete noch nennenswert erweitern. Allerdings muss beachtet werden, dass jede KI individuell auf eine bestimmte Aufgabe trainiert werden muss. Je spezifischer also ein Einsatzgebiet, umso teurer dürfte die Einführung einer KI-Lösung sein.
Machine Learning im E-commerce – make or buy?
Der Gartner Hype Cycle zeigt regelmäßig, dass die Phantasie zum Einsatz einer Technologie der Machbarkeit doch häufig deutlich vorauseilt. Das gilt sicher auch für das Machine Learning. Machine Learning ist eine softwarebasierte Technologie, deren Entwicklung und Spezifikation hochqualifiziertes Personal, große Datenmengen und vor allem erhebliche Rechnerleistung erfordern. Daher stellt sich sehr schnell die Frage, wie ein Zugang zu Machine Learning im E-commerce möglich ist.
Selbsterstellte Lösungen
KI-Lösungen haben das Potenzial, als Wettbewerbsfaktor und Markeintrittsbarriere zu wirken. Daher ist es aus strategischer Sicht interessant, an eigenen Lösungen zu arbeiten. Allerdings dürfte der dazu erforderliche Aufwand, insbesondere beim Aufbau der erforderlichen Kompetenzen im eigenen Unternehmen, erheblich sein. Es hängt vom Geschäftsmodells des Unternehmens, von der Gesamtstrategie, vom Zugang zu Daten, aber vor allem vom Zugang zu ausreichend qualifizierten Personal und schließlich von den Finanzierungsmöglichkeiten ab, ob der Aufbau einer eigenen KI gelingen kann. Aufgrund des hohen Aufwands kann auch eine Kooperation mehrerer Unternehmen mit gleichgerichteten strategischen Interessen oder als Partner in einem Wertschöpfungsnetzwerk interessant sein.
Machine-Learning-Lösungen als Service einkaufen
Ein Einstieg in Machine Learning im E-commerce kann aber auch ein „Buy“-Bezug der Lösungen liefern. Das SaaS-Angebot ist mittlerweile so groß, dass Thomas Hafen in der com! professional (Ausgabe 10/2017) von einer „Demokratisierung von KI und Machine Learning“ spricht. In seinem Übersichtsbeitrag werden die KI Services von AWS (Amazon Web Service), Google, IBM und Microsoft vorgestellt. Einige der KI-Lösungen sind etwa bei Google im Translator oder bei der Bildersuche bereits allgemein zugänglich (ohne das Google die KI-Herkunft der Services allzu sehr unterstreicht). Das Gros der angebotenen Services allerdings dürfte zahlenden Unternehmen vorbehalten sein und bleiben. Das Spektrum der zugänglichen Dienste umfasst
- Sprachverständnis und Übersetzung
- Sprachanalysen
- Bild-/Szenen-/Objekt- und Gesichtserkennung
- Bild- und Videoanalysen
- Suchfunktionen, Rechtschreibprüfungen
- Recommandations
- und viele weitere Funktionen.
Am konkretesten ist sicher die Einrichtung von Chatbots für die Routinekommunikation in Onlineshops. Es hängt vom Umfang der angestrebten Intelligenz ab, wie aufwändig und gut zugänglich ein Chatbotservice tatsächlich ist. In jedem Fall stehen Chatbot-Entwickler zur Verfügung, die auf unterschiedlichen Leistungsniveaus Chatbot-Lösungen bereitstellen. Auch zu anderen Themen lassen sich in Deutschland Unternehmen finden, die Machine Learning im E-commerce möglich machen. Eine Übersicht dazu finden Sie hier.
Fazit
Machine Learning im E-commerce ist bereits weit über ein Pionier- und Experimentierstadium hinaus. Vielmehr etabliert es sich gerade und hat Chancen, zu einem der relevantesten Wettbewerbsfaktoren im E-commerce zu werden. Alle Marktteilnehmer mit Ambitionen sollten diese Phase nutzen, eigene KI-Lösungen aufzubauen oder zumindest mit Hilfe externer Dienstleistungen KI-Erfahrungen zu sammeln.
Foto und Text: Prof. Dr. Dominik Große Holtforth