Jetzt bin ich dein Dozent. Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, die Lehre zu revolutionieren. Wie weit sind die Hochschulen bereits in der Umsetzung?
Syntea ist die gefragteste Mitarbeiterin an der Internationalen Hochschule IU. Mit blondem, schulterlangem Haar und einer hellblauen Bluse hat Syntea seit Jahresbeginn mehr als vier Millionen Fragen von Studierenden beantwortet. Sie hat Tausende Probeklausuren erstellt und korrigiert sowie Seminarinhalte in Quizfragen umgewandelt. Und wenn nötig, erklärt Syntea auch zum hundertsten Mal die Grundlagen aus dem Modul „Einführung in die Computerwissenschaft“.
Syntea: „Kannst du mir sagen, was ein Pixel ist?“
Student: „Ein kleines Bild.“
Syntea: „Das ist ein guter Anfang! Ein Pixel ist tatsächlich ein kleiner Teil eines Bildes. Aber kannst du das noch genauer erläutern? Was stellt ein Pixel in einem digitalen Bild dar, und wie wird es normalerweise gerendert?“
Egal, mit wem Syntea kommuniziert, sie liefert nicht einfach die Musterlösung zu den gestellten Fragen. Stattdessen nutzt sie die sokratische Methode, um durch gezielte Rückfragen gemeinsam mit den Studierenden die Lerninhalte zu erschließen. Man muss wissen: Syntea ist ein Avatar, der an der Privathochschule als KI-gesteuerte Lernassistenz im Einsatz ist. Ein 50-köpfiges Team um den Mathematiker Quintus Stierstorfer hat sie entwickelt und trainiert. Dozenten überprüfen anschließend die KI-generierten Antworten auf ihre Richtigkeit, während die Fragesteller anonym bleiben.
Allen Studierenden, die vor Prüfungen nicht schlafen können oder mit einem Blackout vor einem weißen Blatt Papier sitzen, macht Stierstorfer Hoffnung: „Irgendwann wird es die Klausur am Ende eines Semesters bei uns nicht mehr geben, weil Syntea durch Diskussionsfragen stetig prüft, ob Studierende den Lehrinhalt wirklich verstanden haben.“ Damit ist die IU, die über 30 Standorte in Deutschland hat, Vorreiter einer technischen Entwicklung, der sich die Hochschulen deutschlandweit stellen müssen.
Trotzdem macht Künstliche Intelligenz (KI) an Hochschulen bislang vor allem als unerlaubtes Schummel-Tool Schlagzeilen. Jüngst wies die TU München einen Bewerber ab, weil sein Bewerbungsessay mithilfe von KI formuliert worden sein soll. Den Prüfern fiel auf, dass der Text „zu gut“ war; er „wich durch seine Perfektion, seinen Satzbau und die Textgestaltung von dem ab, was nach der Lebenserfahrung von einem Bachelorabsolventen zu erwarten sei“. Der Bewerber klagte gegen diese Entscheidung vor dem Verwaltungsgericht München – und verlor. „In diesem Feld kündigt sich eine Reihe weiterer Verfahren an“, sagt Arne-Patrik Heinze, ein auf Prüfungsrecht spezialisierter Fachanwalt. Einige Universitäten setzen zunehmend auf Tools, die neben klassischen Plagiaten auch KI-generierte Texte aufspüren sollen.
Dabei gibt es deutschlandweit keine einzige Universität oder Hochschule, die den Einsatz von KI grundsätzlich untersagt. Was allerdings häufig noch fehlt, sind einheitliche Regeln und Vorgaben. In welchen Modulen und Vorlesungen ist ein KI-Tool eine sinnvolle Inspirationsquelle, und wo ist der Einsatz moralisch oder datenschutzrechtlich fragwürdig?
In der Praxis entscheiden zumeist die Lehrenden eigenständig, ob und, wenn ja, wie sie KI in ihren Veranstaltungen und Prüfungen zulassen. Nur 17 Prozent der Studierenden gaben im Januar 2024 an, dass es für den Umgang mit generativer KI in ihrem Fach zentrale Regeln gibt, wie eine Befragung des Digitalverbands Bitkom zeigt. Demnach nutzen zwei von drei Studierenden generative KI-Tools. 63 Prozent der KI-Nutzer lassen sich bei Recherchen von künstlicher Intelligenz helfen. Auch wenn es darum geht, Zusammenfassungen zu erstellen (40 Prozent), Präsentationen vorzubereiten (37 Prozent) oder Texte zu übersetzen (35 Prozent), ist KI als Hilfsmittel unter Studierenden beliebt.
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