Biometrische Authentifizierungslösungen setzen sich langsam in immer weiteren Bereichen durch. Woran es hapert und warum sie unseren Alltag trotzdem durchdringen werden.
Die Zahl der Fallbeispiele im öffentlichen Raum häufen sich und beileibe nicht nur in China: Biometrische Authentifizierungslösungen sind drauf und dran, den Alltag zu erobern. Dass es nicht längst soweit ist, liegt dabei zuletzt an technologischen Fragen.
„Ob man sich an der Supermarktkasse über seinen Fingerabdruck, das Gesicht oder die Iris zu erkennen gibt, sollte vor allem davon abhängen, ob man das möchte. Die Technik dafür ist längst einsatzbereit“, sagt Andreas Wolf, Principal Scientist Biometrics bei der Bundesdruckerei in Berlin. „Ihr Einsatz hängt ab von der Akzeptanz des Publikums, den zu erwartenden Kosten und dem erwarteten Nutzen für den Handel.“
Am Pranger: Die Sache mit dem Werbefoto auf dem Bus
Letzterer ist aber eben manchmal so verführerisch hoch, dass biometrische Lösungen auch mal ohne die letzte Sicherheitskontrolle eingesetzt werden – was bei entsprechender Negativmeldung in der Presse reflexartig zur erneuten Zurückhaltung des Publikums führt. Es ist ein ständiges Vor und Zurück, das die Biometrie nur langsam in den Alltag einsickern lässt.
Dabei sind es noch nicht einmal die schlimmsten Schreckensmeldungen, die für die heftigsten Rückschläge sorgen. Wenn in China Zebrastreifen überwacht und Passanten, die bei Rot über die Straße gehen, per Digitalfoto buchstäblich an den Pranger gestellt werden, dann sorgt dies in unseren Breitengraden für so große Schockwellen, dass selbst die Politik reagiert.
Der Casus Knacksus: In Ningbo wurde vor einiger Zeit das Foto der bekannten Unternehmerin Dong Mingzhu auf eine riesige Plakatwand projiziert, versehen mit dem Hinweis, dass sie gerade ein Vergehen begangen habe. Dabei war Dong Mingzhu gar nicht einmal bei Rot über die Straße gegangen. Die künstliche Intelligenz des Überwachungssystems hatte sich irrtümlicherweise ihr Werbefoto von einem vorbeifahrenden Bus herausgepickt. Die EU-Kommission will solche Übergriffe deshalb schon im Vorfeld unterbinden.
Im April veröffentlichte sie einen Gesetzesvorschlag, der „insbesondere alle Arten biometrischer Fernidentifizierungssysteme“, also Kameras, nur unter strengen Auflagen überhaupt erlaubt und „ihre Echtzeit-Nutzung im öffentlichen Raum zu Strafverfolgungszwecken“ dabei „grundsätzlich“ verbietet.
No Go: Gesichtserkennung im Supermarkt
Dass Menschen sich von staatlicher Seite frei von derartigen Repressalien fühlen können, ist aber nur die eine Seite, weil die unstrittigste. Verunsicherung muss dagegen immer wieder das Vorpreschen des Privatsektors auslösen. Wenn Unternehmen sich von biometrischen Lösungen große Vorteile erhoffen, lassen sie es schon mal darauf ankommen. gesetzliche Regelungen hin oder her – wenn es sie überhaupt gibt.
Ein Beispiel: Die spanische Supermarktkette Mercadona hat im vergangenen Jahr damit begonnen, 40 Filialen mit Gesichtserkennungssoftware auszustatten, um Personen mit Hausverbot herauszufiltern und ihnen den Einkauf zu verwehren. Aufgenommen wurden allerdings ausnahmslos alle KundInnen, wenn ihre Fotos auch nur, so die Zusicherung des Unternehmens, für ein paar Zehntelsekunden im System blieben, eben nur genau so lange, bis sie mit der Datenbank abgeglichen werden konnten.
Der Audiencia Provincial de Barcelona, das höchste Gericht der Stadt, war das allerdings auch zu viel. Vor zwei Wochen verbot es Mercadona jeden weiteren Einsatz der Gesichtserkennung in ihren Filialen. Der Vorwurf: Verletzung der Privatsphäre. Zwar hatte es einen kleinen Infozettel an den Eingängen gegeben – mehr aber auch nicht.
Go: Gesichtserkennung im Stadion
Einen ähnlichen Fall gibt es in Dänemark. Als erster Verein der Welt setzt Brøndby IF auf Gesichtserkennung als Zugangskontrolle in seinem Stadion. Der Grund: etwa 100 unerwünschte Personen. Diese unter 14.000 Heimspiel-Fans zu identifizieren, war für das Sicherheitspersonal stets eine große Herausforderung und ließ erhebliche Verzögerungen beim Einlass entstehen. Panasonic sorgt mit speziellen Kameras und der Software Face Pro für einen deutlich komfortableren Stadionbesuch.
Auch hier: Panasonic versichert, dass keine Fotos von Personen abgespeichert werden, die nicht auf der schwarzen Liste des Vereins stehen. Der Unterschied zum Fall Mercadona: Der Verein hat für den Einsatz der Gesichtserkennung die Genehmigung der Behörden eingeholt. Deren Begründung lautete, dass es im Kampf gegen Hooligans erlaubt sei, Gesichtserkennung einzusetzen, weil es dabei um das öffentliche Interesse gehe.
Keine Monopolstellung erwartet
Die biometrische Authentifizierung scheint gefangen in einem verworrenen Netz aus privaten und öffentlichen Interessen. Dabei muss es aber gar nicht um den Absolutheitsanspruch einer neuen Technik gehen, die eine alte 1:1 ersetzen will. Michael Ginsberg, CEO des E-Mail-Verschlüsselungsspezialisten Echoworx aus Toronto, war vor kurzem mit der Aussage aufgefallen, dass eine passwortfreie Gesellschaft die Zukunft sei, als er ankündigte, fortan auf biometrische Authentifizierungslösungen zu setzen.
Für Andreas Wolf, Biometrie-Spezialist der Bundesdruckerei, ist dies allerdings der falsche Ansatz: „Biometrische Lösungen sollten schon aus Gründen des Datenschutzes und der Benutzerakzeptanz nur eine von mehreren Alternativen sein. Es muss nicht unbedingt darum gehen, Passwörter vollständig abzulösen. Je nach den Anforderungen an eine Anwendung werden Authentifizierungssysteme basierend auf Wissen, Besitz und Biometrie oder auf einer Kombination verschiedener Merkmale gleichberechtigt nebeneinander existieren.“
Wolf rechnet damit, dass es auch immer KundInnen geben werde, die lieber bar bezahlen, aus dem einfachen Grund, weil sie sich damit nicht zu erkennen geben. Die Entwicklung lässt sich an der Medienexplosion ablesen: Jedes neue Medium kommt zu den bisherigen hinzu, keines löst ein anderes ab, sie existieren nebeneinander. TV, Radio und Print geben Marktanteile ab, doch das Internet hat sie nicht abgeschafft.
Ebenso sieht es im Payment-Markt nicht nach einer Monopolstellung aus und auch Streaming oder Pay-TV sind zusätzliche Angebote, keine, die andere Bewegtbild-Medien verdrängen. Immer dann, wenn eine neue Technik klare Vorteile bietet, die für jeden sofort einsichtig sind, wird sie vom Mainstream angenommen. Und biometrische Authentifizierungslösungen bieten davon, Missbrauchsfälle ausgenommen, jede Menge.
Zum Beispiel im Supermarkt: Bezahlen per Handauflegen? Kein Problem: Amazon macht es möglich – wenn auch erst einmal nur als Pilotprojekt in Seattle. Ein Scanner am Eingang identifiziert die KundInnen über die Handinnenfläche und verknüpft die biometrischen Daten mit Kreditkarte und Mobilfunknummer. Später können diese dann beim Auschecken schnell aktiviert werden.
Oder beim Autofahren: Die neue S-Klasse von Mercedes öffnet das personalisierte Display im Innenraum per Fingerprint oder Gesichtserkennung.
Continental und Hyundai arbeiten daran, dass sich Autotüren per biometrischer Authentifizierung öffnen lassen. Auch Motoren könnten künftig flächendeckend nur noch mit dem richtigen Fingerabdruck starten – eine doppelte Diebstahlsicherung.
Identifizieren mit dem Smartphone
Die Zahl potentieller Anwendungen ist schier grenzenlos. Überall, wo Menschen sich identifizieren müssen, um bestimmte Leistungen abrufen zu können, haben biometrische Systeme ihren Platz.
Zum Beispiel an Computern mit Zugang zu sensiblen Daten. „Woher weiß ein Callcenter, dass vor dem Bildschirm tatsächlich die berechtigte Person sitzt?“, umreißt Gereon Tillenburg, Geschäftsführer des Darmstädter Biometrie-Spezialisten Twinsoft, eine alltägliche Nutzungssituation.
„Wir haben eine Lösung entwickelt und sie in unsere biometrische Management-Suite BioShare integriert. In zufälligen Abständen erscheint ein QR-Code auf dem Bildschirm, den der Mitarbeiter mit seinem Smartphone abfotografieren muss, um weiter arbeiten zu können. Dessen Daten sind in BioShare abgespeichert, so dass der Fingerabdruck oder das Gesicht des Besitzers identifiziert werden kann. Stimmen die mit den Mitarbeiterdaten des Callcenters überein, erfolgt die Freigabe.“
Selbst die Authentifizierung im Internet – oft mit dem Einscannen von Dokumenten verbunden – wird schon bald wesentlich schneller und einfacher vonstattengehen: ein Klick reicht.
„Voraussichtlich ab Herbst dieses Jahres können sich Bürger im Netz auch mit ihrem Smartphone ausweisen – als Sicht- oder Reiseausweis ist dieser digitale Identitätsnachweis aber nicht gedacht“, kündigt Andreas Wolf von der Bundesdruckerei an.
Und auch die zahlreichen Kontrollvorgänge bei Reisen sollen sich künftig wesentlich angenehmer, weil reibungslos gestalten.
Reisen ohne Reisepass
„In naher Zukunft wird es sicher in einigen Ländern erste Prototypen für einen mobilen und später auch virtuellen Reisepass geben“, sagt Wolf. „Standards, die internationale Interoperabilität von mobilen und virtuellen Reisepässen ermöglichen, werden in der Community gerade erarbeitet. Wie schnell dieser virtuelle Reisepass zum Einsatz kommt, kann man heute noch nicht beurteilen.“
Was fehlt, sind biometrische Referenzdaten in hoher Qualität. Diese bei der gesamten Bevölkerung, am besten weltweit, einzufordern, dauert sicher noch eine ganze Weile, wahrscheinlich mehr als zehn Jahre. Prozesse in dieser Größenordnung laufen üblicherweise sogar eher in Dekaden ab.
Doch irgendwann wird es soweit sein und Passkontrollen sind dann mit einem netten Lächeln in die Kamera schnell absolviert, ganz ohne physische Ausweiskontrolle.
„Die Grenzkontrollbehörden am Reiseziel haben alle biometrischen Passagierdaten bereits lange vor Ankunft vorliegen“, erklärt Wolf, „und gleichen diese dann über die Kamera mit dem Gesicht des Reisenden ab.“
Die Aussichten der Biometrie-Branche sind also im Prinzip gut (und sie werden noch besser, wenn Gesetze überall klar machen, was wer wo mit welchen Daten machen darf). Kein Wunder daher, dass die Investitionsbereitschaft in der Wirtschaft diesbezüglich stark gestiegen ist, so jedenfalls die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage der Londoner Beratungsfirma Goode Intelligence.
Fast drei Viertel der 220 Befragten aus Wirtschaft und Regierungskreisen auf der ganzen Welt sagten demnach, dass biometrische Authentifizierungslösungen für ihre Organisation grundsätzlich sehr geeignet seien, um KundInnen zufriedenzustellen (to ensure good customer experience). Über ein Viertel haben ihre Investitionen in diesem Bereich zuletzt erhöht und etwa ein Drittel neigen heute mehr denn je dazu, Biometrie einzusetzen.
Ein Lächeln reicht
Die Lösungen reichen dabei von der Gesichts- oder Iriserkennung, dem Fingerabdruck bis hin zur Handvenen-Erkennung. Sogar an verhaltensbasierter Authentifizierung wird intensiv geforscht. Vor allem die Art und Weise, wie jemand üblicherweise tippt, kann analysiert und für eine sichere Authentifizierung genutzt werden. Aber auch der Gang ist individuell und könnte über den Trittdruck als neue Authentifizierungsmethode etwa an Flughäfen oder anderen Zugängen Einsatz finden. Was nichts anderes heißt, als dass hier eine neue Branche entsteht, denen nur das erste Einhorn fehlt, um von der Trend- in die Boom-Phase zu wechseln.
Oder wächst es längst heran? Die rumänische Biometrie-App PayByFace sorgt auf dem Balkan gerade gehörig für Furore. Statt mit Bargeld, Kreditkarte oder Smartphone kann dort an einigen Orten einfach mit dem eigenen Gesicht gezahlt werden. Damit das funktioniert, muss der User nur die App herunterladen, damit ein Selfie machen und seine reditkartendaten eintragen – erkannt wird er dann von der Kamera eines PaybyFace-Tablets am Counter (und nach Eingabe der vierstelligen PIN). Die bulgarische Tochter der österreichischen Raiffeisen-Bank hat das System im Café des Hauptsitzes in Sofia installiert, eine Taxifirma in Bukarest probiert es derzeit aus, auch die Coffee-Shop-Kette Ted’s ist dabei, insgesamt an rund 70 Stellen wird derzeit in Südosteuropa per Gesichtserkennung gezahlt. Und vielleicht bald auch bei uns.
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