Online einkaufen ist längst kein linearer Prozess mehr. Konsument:innen entdecken Produkte heute in Sekunden – nicht über Shops, sondern über Feeds. Ein Klick auf das Video, ein Wischen zur Seite, ein spontaner Impulskauf. Willkommen in der Welt des Social Commerce: Hier verschmelzen Social Media, E-Commerce und Künstliche Intelligenz zu einer neuen, nahtlosen Form des Einkaufens.
Basierend auf der Präsentation von Prof. Dr. Richard Geibel und Victoria Frings vom E-Commerce Institut Köln analysieren wir die Entwicklungen, Potenziale und Herausforderungen dieser Transformation der digitalen Verkaufswelten.
Social Commerce – Eine neue Evolutionsstufe des Online-Handels
Während E-Commerce und Social Media jahrzehntelang nebeneinander existierten, markiert Social Commerce ihren Zusammenschluss. Dabei geht es nicht nur um Produktwerbung in sozialen Netzwerken – sondern um die direkte Transaktion innerhalb der Plattform. Nutzer:innen müssen Instagram, TikTok oder Snapchat nicht mehr verlassen, um einen Kauf abzuschließen. Das Produkt kommt zu ihnen – genau dort, wo sie sich digital ohnehin aufhalten.
Warum Social Commerce boomt: Motivation und Nutzen
Der klassische Kaufprozess – vom Scrollen über das Produktfinden bis hin zur Weiterleitung auf externe Shops – war bislang frustrierend und fehleranfällig. Viele Käufe scheiterten an zu vielen Zwischenschritten. Social Commerce hingegen reduziert diese Hürden. Mit einem Klick im Feed ist das Produkt gekauft.
Das schafft nicht nur Bequemlichkeit, sondern auch Vertrauen: Empfehlungen von Freund:innen oder Influencer:innen wiegen oft schwerer als klassische Werbung. Plattformen wiederum profitieren von längeren Aufenthaltszeiten („Stickyness“), Produktanbieter:innen erreichen jüngere Zielgruppen, und Influencer:innen monetarisieren ihre Reichweite besser als je zuvor.
Social Commerce in Aktion: Von TikTok bis Amazon Live
Die großen Plattformen machen es vor:
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TikTok Shop: Seit April 2025 auch in Deutschland aktiv. Creator:innen können Produkte direkt in ihren Livestreams promoten. Voraussetzung: mind. 1.500 Follower und Einhaltung der Community-Regeln.
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Snapchat & Nike: Verkauf limitierter Air Jordans innerhalb von 30 Minuten – ausgelöst über einen Link beim All-Star Game.
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Instagram & Facebook: Meta ermöglicht den Amazon-Kauf, ohne die App zu verlassen.
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Amazon Live & Haul: Live Shopping Formate zur Abwehr chinesischer Billiganbieter wie Temu oder Shein.
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ABOUT YOU und OTTO: Live-Formate mit hohem Unterhaltungswert, zum Beispiel via Apple Vision Pro.
Künstliche Intelligenz & FOMO: Psychologische Verkaufsstrategien
Ein zentrales Element des Social Commerce ist die gezielte Ausnutzung psychologischer Trigger. Besonders das Phänomen der Fear of Missing Out (FOMO) wird strategisch genutzt: Limitierte Angebote, exklusive Zugänge oder Echtzeit-Nachrichten erzeugen Dringlichkeit. Kombiniert mit KI-gesteuerter Personalisierung entsteht ein Verkaufserlebnis, das stark emotionalisiert – und oft zu Impulskäufen führt.
Doch mit dieser Effektivität geht auch Verantwortung einher.
Schattenseiten und politische Verantwortung
Die rasante Entwicklung wirft ethische Fragen auf: Datenschutz, Jugendschutz, Transparenz und Kaufsuchtprävention rücken in den Fokus. Social Scoring, Cybermobbing, Bodyshaming oder der Einsatz manipulativer UX-Designs sind Herausforderungen, die Verbraucher:innen zunehmend betreffen.
Die zentrale Frage lautet: In welcher Welt wollen wir leben? Die Antwort muss politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich diskutiert werden.
Fazit: Social Commerce ist gekommen, um zu bleiben – aber nicht um jeden Preis
Social Commerce ist mehr als ein Trend – es ist die logische Weiterentwicklung des digitalen Kaufverhaltens. Die Chancen sind enorm: neue Umsatzpotenziale, bessere Customer Experience, innovative Geschäftsmodelle. Doch der Boom braucht Leitplanken. Eine ethische und verbraucherschützende Gestaltung digitaler Verkaufsräume ist essenziell, um Vertrauen zu sichern und Überkonsum zu verhindern.
Über die Autor:innen
Prof. Dr. Richard C. Geibel ist Professor an der IU Internationale Hochschule und Leiter des E-Commerce Instituts Köln. Er forscht und publiziert zu den Themen E-Commerce, digitale Geschäftsmodelle und Innovationsmanagement.
Victoria Frings ist Projektmanagerin am E-Commerce Institut und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der IU. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Konsumentenverhalten und digitale Transformation im Einzelhandel.