Fehler #3 Den Stolz und die Kultur Chinas unzureichend respektieren
Die Chinesen sind ein stolzes Volk mit langer Geschichte und eigenen Werten. Dies spiegelt sich in den Erwartungen der Konsumenten wider. Die meisten mit europäischem Marketingmaterial beworbenen Produkte werden nicht angenommen. Die Bildsprache sollte daher mit chinesischen Fotomodellen neu erstellt und an lokale Normen, Werte und Ereignisse angepasst werden. Ein “fremdes” Produkt muss sich für die Verbraucher ausreichend heimisch anfühlen.
„Egal wie hoch Ihr eigener Markenwert auf dem Inlandsmarkt ist, ein ausländisches Unternehmen muss in China von vorne beginnen.“ — Peter Heckmann, Managing Director Alix Partners [19]
Teil der chinesischen Kultur ist eine fast schon zwanghafte Erwägungsphase (Consideration Phase) beim Produktkauf. Daher benötigt es für jedes Produkt eine Vielzahl von Inhalten, um die Vorteile und Überlegenheit zu demonstrieren. Die Produktseiten werden für einen westlichen Webdesigner weit über alles Gewohnte hinausgehen. Die schlichte Übersetzung vorhandener Inhalte reicht nicht aus.
Zudem werden Videoinhalte vorausgesetzt. Alibaba fordert seit kurzem erklärendes Videomaterial für jedes Produkt. Ansonsten werden die Produkte im Ranking abgestraft.
Im westlichen Online-Handel gänzlich unbekannt, nimmt man in China den Begriff des “Handelns” ernst. Konsumenten wollen traditionell um den Preis feilschen. Die Nutzung der Chat-Funktion, um nach einem Rabatt zu fragen, ist üblich. Langsame Reaktionszeiten oder eine Null-Rabatt-Politik reduzieren die Kaufrate (Conversion) drastisch.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass aufgrund der kulturellen Unterschiede und der Größe des chinesischen Marktes die Einführung eines Produkts ein erheblich größerer Aufwand ist, als auf einer westlichen Plattform. Dafür ist aber der potenzielle Gewinn immens. Man denke nur an die Anzahl Zielkunden, die auf der Basis eines chinesischen Marketing-Inhalts eine Kaufentscheidung treffen — im Vergleich zu einem deutschen.
Fallstudie: Cosnovas “Cross-Border E-Commerce” in China
Im Jahr 2018 leitete die Gründerin von Cosnova, Christina Oster-Daum, ein erfolgreiches Kosmetikunternehmen mit Tochtergesellschaften in mehreren europäischen und amerikanischen Ländern. Der große Markt in China war noch kaum zu greifen.
Sie war sich der steigenden dortigen Nachfrage für Kosmetikprodukte sehr wohl bewusst, was durch die Präsenz der DaiGous bestätigt wurde. Letztere sind Händler, die auf Wunsch des Konsumenten Produkte aus dem Ausland erwerben. Die DaiGous verkauften bereits Cosnova Marken wie Essence und Catrice auf digitalen Plattformen.
“Unsere Marken waren bereits auf dem chinesischen Markt, ohne dass wir selbst aktiv geworden sind.” — Cosnova-CEO Christina Oster-Daum [19]
Auch wenn Cosnova somit bereits Produkte in China verkaufte, war das Unternehmen keineswegs Herr über die Vertriebswege. Die DaiGous konnten sich den guten Ruf zunutze machen oder ihn letztlich sogar gefährden.
Die Gründung eines vollständig in ausländischem Besitz befindlichen Unternehmens (WFOE) und der direkte Eintritt in den chinesischen Markt schienen aufgrund der oben beschriebenen Besonderheiten des Marktes zunächst schwierig. Bald stellte sich heraus, dass es praktisch unmöglich war, da Cosnova sich gegen Tierversuche ausgesprochen hatte und eine chinesische Verordnung staatlich durchgeführte Tierversuche für importierte Kosmetika forderte.
Sie erkannte schließlich die Notwendigkeit eines Partners zur Entwicklung der China-Strategie. In Zusammenarbeit mit einer Agentur, die sich auf E-Commerce-Strategien und deren Umsetzung für den chinesischen Markt spezialisiert hat, wurde folgender Ansatz umgesetzt.
Im April 2019 wurde der Tmall Flagship-Store für Essence und CATRICE eröffnet.[20] Am „.hk“ im Link zeigt sich, dass der Store seinen Sitz in Hongkong hat. Dieses Cross-Border-Geschäft ermöglicht es Kunden vom chinesischen Festland, die Produkte zu bestellen, ohne, dass Tierversuche erforderlich sind. Ein weiterer Vorteil ist, keine Zeit und kein Geld in die Gründung eines chinesischen Gewerbes und die Registrierung von Produkten investieren zu müssen. Auch ist es weniger riskant und erfordert weniger Kapital als die Einrichtung eines inländischen Tmall-Shops.[21] Im Mai 2020 begann Cosnova mit dem chinesischen Influencer Yanjiu zu arbeiten. Die Marketingkampagne führte zu einer großen, nicht genau bezifferten, Anzahl von Bestellungen, von denen 97% von Neukunden stammten.[20]
Die örtlichen Gesetzgeber haben angekündigt, dass es im Rahmen der erforderlichen Zulassungen für Kosmetika im Mai 2021 eine Lockerung der Vorschriften für Tierversuche geben wird. Infolgedessen positionieren sich zahlreiche internationale Akteure für den Eintritt in den Inlandsmarkt, um direkt aus Lagern auf dem chinesischen Festland zu verkaufen. Einer von ihnen ist Cosnova.
Selbst für ein etabliertes Unternehmen mit globalen Aktivitäten war der Eintritt nach China keine Kleinigkeit. Nur ein starker Fokus der CEO und ein funktionsübergreifendes Team mit starken Fähigkeiten innerhalb von Cosnova ermöglichten die schnelle und erfolgreiche Umsetzung der China-Strategie mit allen erforderlichen Budgets, Marketingaktivitäten und Produktlokalisierungen. Diese starke Unterstützung der Geschäftsleitung wird weiterhin von elementarer Bedeutung sein.
“Wir wollen uns weiterentwickeln und so gut wie möglich auf die Kundenbedürfnisse eingehen. Andernfalls wird man schnell von den lokalen Marken überholt.“ – Elisa Boldt, Marktplatz Manager China bei Cosnova
Aufbauend auf dem ersten Erfolg bei Tmall plant Cosnova nun den Start mit WeChat, VIP und Little Red Book, um sich fest im im chinesischen E-Commerce zu etablieren.
Ihre nächsten Schritte in den chinesischen E-Commerce Markt
Durch das offensichtliche Marktpotenzial Chinas ist es für wachstumswillige Markenhersteller nur eine Frage der Zeit, wann sie den Weg nach China antreten. Wie die kurz erwähnten Negativbeispiele Amazon, Garnier und Revlon zeigen, sind Größe und Stärke auf dem Heimatmarkt kein Garant für den Erfolg in China. Dennoch sehe ich neuen Märkten in der Regel optimistisch entgegen. Ich selbst habe in China gelebt und gearbeitet. So kann ich viele Recherchen bestätigen. Doch lassen Sie uns eine Expertenmeinung hören:
“Wenn eine Marke das Potenzial Chinas nutzen möchte, sollte sie die erforderlichen Maßnahmen sorgfältig abwägen. Es erfordert eine marktspezifische Strategie und im Idealfall einen Implementierungspartner vor Ort, der dabei hilft, alles vom täglichen Betrieb bis hin zu den Marketingaktivitäten zu kontrollieren. “ — Karl Wehner, Geschäftsführer Alibaba Group (DACH, CEE, Türkei)
Mit dem chinesischen Markt sind zahlreiche Risiken und Unsicherheiten verbunden. Denken Sie nur an das System der sozialen Kreditpunkte, an die Kapitalverkehrskontrollen und Joint-Venture-Vorschriften – um nur einige zu nennen. Mein Fazit als Unternehmer und Dozent für Internationalisierungsstrategien entspricht absolut Karl Wehners Zitat: Wenn Sie nach China wollen, machen Sie es zu einem Fünfjahresprojekt. Verbringen Sie die ersten zwei Jahre mit Planung, holen Sie sich einen Partner an Ihre Seite, und erwarten Sie nicht, die Gewinnschwelle vor dem fünften Jahr zu erreichen. Natürlich bestätigen Ausnahmen die Regel – möglicherweise schaffen Sie es auch in drei Jahren. Aber Sie werden es mit Sicherheit nicht in einem schaffen. Und Sie werden es höchstwahrscheinlich nicht alleine schaffen.
Es liegt nun an Ihnen. Schreiben Sie mir eine E-Mail an jdg@digantro.com, um mehr zu erfahren oder sich weitergehend über das Thema auszutauschen.
Vielen Dank fürs Lesen.
Lesen Sie den ersten Artikel hier!
Hier finden Sie die genutzten Quellen, die in diesen Artikel eingeflossen sind. Zudem hat Jan Dominik Gunkel persönliche Erfahrungen, wie auch relevante Gespräche mit Experten einbezogen.
[21]https://www.azoyagroup.com/blog/view/how-tmall-tmall-global-are-different-and-why-it-matters-to-brands/